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Channel: Dialoge – Hannes Sallmutter
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Ein bißchen Frieden

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Wenn man weiß, dass seine Verabredung einen leichten Hang zum Unpünktlichsein hat, dann empfehle ich den Schwedenplatz als Treffpunkt – dort tut sich immer was und das Warten wird recht kurzweilig. Wie gestern Nachmittag:

Ein offenbar obdachloser, verwirrter junger Mann, Anfang/Mitte 20, lehnt mit einer Bierflasche „bewaffnet“ an einem der Stehtische bei den Imiß-Ständen und führt ein Selbstgespräch, bei dem er das Sexualverhalten einer gewissen Daniela lautstark mit sich selbst erörtert. Nur, wenn Passanten ihn besonders auffällig mustern, schimpft er hinter ihnen her. Plötzlich steuert ein ebenfalls obdachloser und mindestens genau so verwirrter älterer Mann auf den Imbißstand zu – er hat es auf die Abfallbehälter abgesehen und durchstöbert diese. Dabei schimpft er (ohne jemanden konkret anzusprechen) vor sich hin: „Lauta Staatsverbrecha, des Gsindl, des deppate!“.

Der junge Mann in unmittelbarer Nähe scheint sich angesprochen zu fühlen und unterbricht seine Selbstgespräche: „Wos schimpfst do deppat? Wonn da wos net paßt, ram Di weg, Du unnediga Mistkieblstierla!“

Das erzürnt den anderen, er wird laut: „Wos mischt Du Di ein? Geh in Oasch, Du Hurnkind! Wos geht Di mei Leb’n an? I moch wos i wü!“

Wenig überraschend, dass diese Reaktion zu einem lauten, verbalen Schlagabtausch führt. Die zwei werfen sich Beleidigungen und Schimpfworte an den Kopf, dass man sich eigentlich nicht mehr die Frage stellt, ob jemand handgreiflich wird, sondern nur mehr wer von den beiden.

Dann, plötzlich, zeichnet sich Nachdenklichkeit in die Mimik des Jüngeren: „Göö, Du bist genau so im Oasch wie i…?!“ Aus dem Schreiduell wird im Laufe der nächsten Sekunden eine angeregte, ruhige Unterhaltung. Und ein paar Minuten später, gerade als meine Verabredung auftaucht, teilen sie sich brüderlich Bierflasche und Zigaretten.

Tja, so einfach könnte das mit dem Weltfrieden klappen. Fast, so scheint es, verfügen verwirrte Obdachlose über eine höhere Fähigkeit zur Relexion, über mehr Einfühlungsvermögen, als die mächtigen Staats- und Regierungschefs unserer Welt.


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